Euregio Bayerischer Wald - Böhmerwald - Unterer Inn

1. Deutsch-Tschechische Böhmerwaldgespräche

Am zweiten Septemberwochenende haben im tschechischen Klatovy (Klattau), symbolisch nahe der bayerisch-tschechischen Grenze, zum ersten Mal die „Deutsch-Tschechischen Böhmerwald-Gespräche“ stattgefunden – organisiert von der Hanns-Seidel-Stiftung in Prag.


Der Corona-Lockdown und mehrere Monate Grenzschließung haben die bayerisch-tschechische Zusammenarbeit in verschiedensten Aspekten beeinflusst. Wie die Erfahrungen in dieser Zeit waren, welche Folgen sich daraus ergeben und mit welchen Erwartungen man auf die nächsten Monate schaut – darüber haben Experten aus den Bereichen Wirtschaft, Politik, Gesundheit, Sprache und Tourismus diskutiert.

Moderiert und geleitet wurde die Veranstaltung vom ehemaligen bayerischen CSU-Europaabgeordneten Martin Kastler, heute Repräsentant und Regionalleiter der Hanns-Seidel-Stiftung für Mitteleuropa mit Sitz in Prag. Miteröffnet wurde die Konferenz vom 2. Bürgermeister der Stadt Klatovy (Klattau), Herrn Václav Chroust. „Wir wollen als Hanns-Seidel-Stiftung mit diesem Experten-Roundtable in Klatovy das persönliche Gespräch und das grenzüberschreitende Miteinander nach all dem Lockdown und der Grenzschließung wieder anschieben. Seit fast 30 Jahren arbeiten wir in Tschechien und jetzt ist es an der Zeit, den regionalen Dialog, auch in COVID-19-Zeiten, in der Nachbarregion von Böhmerwald und Bayerischem Wald wieder zu fördern“, so Martin Kastler, Initiator der Deutsch-Tschechischen Böhmerwald-Gespräche. Für Bürgermeister Chroust ist es ein „Gewinn, dass wir in der Grenzregion leben und gemeinsam arbeiten können, Grenzschließungen stören das Miteinander“.

Am ersten Tag standen zunächst die temporäre Grenzschließung, die Situation der tschechischen Pendler und die Auswirkungen auf den bayerisch-tschechischen Arbeitsmarkt im Vordergrund. Die Erfahrungsberichte aus dieser Zeit haben unter anderem präsentiert: Václav Bernard, 1. Bürgermeister von Všeruby, Sandro Bauer, 1. Bürgermeister von Furth im Wald, Dr. Richard Pikner, Chefarzt des Krankenhauses in Klatovy, Andreas Weishaupt, Verbindungsbeamter der Bundespolizei an der Deutschen Botschaft in Prag und Miloslav Sláma, Gebietsleiter AAQUILA Personalservice Klatovy.

Für die beiden Bürgermeister Václav Bernard aus Böhmen und Sandro Bauer aus Bayern war die Grenzschließung ein „schlimmes Fanal“, es war „die ganze Freiheit verschwunden“ und es sei ein Schock für die junge Generation nach 1989 gewesen, dass man nicht mehr frei hin- und herpendeln konnte. Der Laborleiter und Kommunalpolitiker Richard Pikner betonte, dass das Corona-Virus keine Grenzen kenne und die Grenzregion nie ein Hotspot war und dennoch einzelne Politiker und Menschen vor Ort „Sündenböcke“ gesucht und die rund 4.000 Pendler hier stigmatisiert hätten.

Dies betonte auch der Polizeiattachée in der Deutschen Botschaft Prag, Andreas Weishaupt: „Grenzschließungen sind kein Heilmittel gegen Viren. Ich appelliere an die Vernunft der Menschen, besonders an die jungen Menschen, vorsichtig zu sein, Abstand zu halten und die Hygieneregeln zu beachten.“

Im Anschluss wurde mit Maria Donata Di Taranto, Projektleiterin des Projekts „Gemeinsame Sprache – Gemeinsame Zukunft“, einem grenzübergreifenden Projekt der EUREGIO Bayerischer Wald-Böhmerwald-Unterer Inn und der technischen und ökonomischen Hochschule in České Budějovice  (Budweis) erörtert, wie Begegnungen von bayerischen und tschechischen Schulen in Zeiten von Homeschooling stattfinden können.

Daran schloss sich eine Diskussion mit Dr. Gerhard Hopp, Mitglied des Bayerischen Landtags, und Jaroslava Pongratz, Netzwerkmanagerin Bayern – Böhmen bei der Europaregion Donau-Moldau, über die gemeinsame bayerisch-tschechische Wirtschaftsregion, Folgen für die bayerischen und tschechischen Unternehmen und Empfehlungen für die Bekämpfung der Corona-Krise an.

Was die bayerisch-tschechische Wirtschaft in der Corona-Zeit betrifft, so konnten die Unternehmen größtenteils weiter kooperieren. „Allerdings gab es Probleme bei der Beschäftigung von tschechischen und niederbayerischen Mitarbeitern im jeweiligen Nachbarland, es kam zu Störungen von Lieferketten, Liquiditätsproblemen etc.", so Pongratz. Diese Feststellung unterstrich der CSU-Abgeordnete Gerhard Hopp aus dem Landkreis Cham, denn viele Aufträge von Betrieben in seinem Wahlkreis seien gar nicht mehr angenommen worden, weil ihnen die Mitarbeiter aus Tschechien fehlten. „Es gab viel Verdruss und Schwierigkeiten durch die innereuropäische Grenze“, so Hopp.

„Ich hoffe sehr, dass keine Einschränkungen an den Grenzen mehr eintreten. Doch sollte man angesichts der steigenden Infiziertenzahlen vor allem digitale Geschäftsmodelle, eine bessere Nutzung von digitalen Mitteln im Alltagsgeschäft und im Besonderen ein detailliertes Risikomanagement parat haben, um etwaige Produktions-, Liefer- und Liquiditätsprobleme zu verhindern", so Pongratz. 

Der Sonntag wurde den Themenbereichen Grenzübergreifender Tourismus, Kultur und Schüler- und Studierendenaustauch gewidmet. Unter anderem wurde analysiert, wie Ostbayern und Westböhmen, zwei Regionen, die stark vom Tourismus geprägt sind, mit der Zeit des Lockdown umgegangen sind und wie sie sich bestmöglich auf eventuelle weitere Einschränkungen vorbereiten können. Außerdem wurde besprochen, welche Folgen die aktuelle Situation für Schüler und Studierende bei Studienaufenthalten, Praktika und Exkursionen ins Nachbarland hat und welchen Herausforderungen sich die Kulturbranche in diesen Zeiten stellen muss.

Da dieses neu eingeführte Veranstaltungsformat so großen Anklang fand, soll es spätestens im Herbst 2021 eine Fortsetzung finden.